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Candice Breitz: In der weißen Zelle

Eine Frau in verschiedenen Posen, weiß gekleidet und geisterhaft wirkend.

Wer in diesem Sommer durch Berlin spaziert ist, kann auf eine vertraute, aber auch leicht beunruhigende Erscheinung gestoßen sein: das gespenterische Gesicht des Whiteface. Bis zum 4. Dezember ist die Einzelausstellung der in Berlin lebenden Künstlerin Candice Breitz beim Fotografiska Berlin zu sehen.

Wie die Ausstellung selbst sollten auch diese Plakate die gesellschaftliche Stellung des Weißseins in Frage stellen und die daraus resultierenden sozialen Privilegien thematisieren.

Whiteface ist ein eindringlicher Kommentar zu Fragen über race und Repräsentation. In diesem Auszug aus der Whiteface Brochure, die im Fotografiska Shop erhältlich ist, beschreibt Autor und Kulturtheoretiker Gürsoy Doğtaş , wie die Themen von Breitz in unserer Aufmerksamkeitsökonomie resonieren.

Die Posterserie mit dem Titel, Some of my best friends (2023) greift einen der Sätze von Jane Elliott auf, mit dem Weiße Menschen sich ihren Rassismus weglügen: „I’m not a racist… Why some of my best friends are black!” Die Figuren in Pose zu Sätzen wie „Some of my best friendsare black“ bzw.„romani“,„asian“,„jewish“, „muslim“ oder „trans“ mit Kartoffeln in ihren Händen. Die etwa 5000 Poster kleben im öffentlichen Raum Berlin und verbinden Whiteface mit der Verleugnung des Rassismus von weißen Deutschen.

White Candice Breitz posters decorate the wall next to a bicycle that is parked.

Die Kartoffel als Motive sind, ähnlich den ikonographisch aufgeladenen Gemälden der Kunstgeschichte, zu decodierende Symbole. Sie gehören in die Kategorie der abwertenden Ethnonyme für weiße Deutsche. Die Debatte (wie Ferda Atamans Kolumne über dieses Wort bevor sie Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung wurde) um die Zuschreibung durch dieses Gemüse, würde sich für einen Abschnitt des Whiteface eignen. Die Kartoffel oder die*der Kartofelfresser*in ist eine Antwort, auf die Beleidigungen der weißen Deutschen gegenüber den im Rahmen des Anwerbeabkommenden neu zugezogenen Arbeitsmigrant*innen. Sie wurden mit ethnischen Schimpfnamen, die auf die Essgewohnheiten abzielten, wie „Spaghettifresser“, „Gurkenfresser“ oder „Knoblauchfresser“, beleidigt.

Die Poster lassen keinen Zweifel daran, dass die Tatsache, dass „einige meiner besten Freund*innen schwarz1 sind“ oder eine andere Gruppe von diskriminierten Menschen, kein Beweis für ein antidiskriminierendes Bewusstsein oder eine antidiskriminierende Praxis ist. Es ist möglich eine enge Bindung zu beispielsweise einer*m Schwarzen zu haben und sich ihr*ihm gegenüber überlegen zu fühlen oder weiterhin rassistische Stereotypen zu hegen. Mit der Formulierung „einiger meiner besten Freunde sind…“ lenkt zudem die weiße Person das Gespräch auf sich. Die Art und Weise, wie Weiße die Welt um sich zentrieren, macht die Diskriminierten zu Statisten ihrer Welt.

A poster on a pole featuring Candice Breitz.

Diese Formulierung hat eine Geschichte, die bis in die Zeit des Abolitionismus zurückreicht. Damals versuchten die Weißen mit dem Begriff der Freundschaft die Sklaverei zu verharmlosen.Hierzu liefert Tyler Parry, ein Professor für African-American Studies in seinem Artikel „A Brief History of the ‘Black Friend’” einige Belege.2 Der Befürworter der Sklaverei George Fitzhugh entgegegnete 1854 den Abolitionist*innen im Norden: “The [white] Southerner is the n***’s friend, his only friend. Let no intermeddling abolitionist . . . dissolve this friendship.”3 Auch nach dem Ende der Sklaverei fabulieren die ehemaligen Sklavenhalter und -Halterinnen eine platonische Freundschaft zwischen sich und den versklavten Menschen, wenn sie in ihren Memoiren mit Zeilen wie diesen “by the loss of our [Black] friends, those we loved, and those who loved us,” den Verlust bedauern.4 Diskursgenealogisch betrachtet, steht dieser Satz „einiger meiner besten Freund*innen sind schwarz“ in einer Tradition, in denen die Sklavenhalter- und Halterinnen die US-amerikanische Öffentlichkeit davon zu überzeugen versuchte, dass die Versklavten nicht nur mit ihrer Knechtschaft zufrieden waren, sondern darüber hinaus die Sklavenhalter- und Halterinnen sogar auch liebten. Der Begriff „Freundschaft“ will über die wahren Machtverhältnisse hinwegtäuschen, in denen die Versklavten Eigentum waren und per Gesetz nicht als Menschen galten.

Auch Deutschland hat eine Geschichte der Sklaverei. Zivilrechtliche Texte vom hessischer Richter und Rechtsgelehrter Ludwig Höpfner lassen dies erahnen. Im Paragraph 70 „Von der heutigen Sklaverey“ heißt es dort: „Wir haben heutzutage 1) wahre Sklaven im Sinne des römischen Rechts; 2) Leibeigene; 3) freye Knechte und Mädge. Wahre Sklaven sind die N***sklaven und die gefangenen Türken. Denn da die Türken unsere Kriegsgefangene [sic] zu Sklaven machen, so verfahren wir mit den ihrigen auf gleiche Weise. Die Türkensklaven trifft man jetzt in Deutschland wohl nicht an, da wir so lange keine Kriege mit den Türken geführt haben. N***sklaven aber werden zuweilen aus Holland und anderen Reichen zu uns gebracht. Beyde Arten von Sklaven sind nach römischem Recht zu beurtheilen.“5

Nach römischen Recht bedeutet, dass sie im römischen Staat nicht als Personen, sondern als Sachen komplett entrechtet waren. Auch wenn es an dieser Stelle keine Belege gibt, ob auch später in Deutschland Sklaverei durch Begriffe wie „Freundschaft“ naturalisiert wurde, wird klar, dass Schwarze aber auch beispielsweise Menschen mit Vorfahren aus der Türkei auf eine Geschichte des Rassismus blicken, dass nicht bei der Ankunft in Deutschland durch das Anwerbeankommen beginnt, sondern viele Jahrhunderte zurückreicht.

Rassistisch geprägte Realitäten und deren lange Geschichte zu leugnen, ist nicht allein das Problem der USA oder angelsächsischen Länder. Die Strukturen finden sich auch in Deutschland wieder, sei es in der institutionalisierten weißen Vorherrschaft oder in Freundschaften. Whitefaceund die Poster im Speziellen eröffnen hier für den erforderlichen diskursiven Resonanzraum. Fragen wie „Answer the question… what does it mean to be white‘?“ schwingen darin mit und warten auf Antworten.

Gürsoy Doğtaş promovierte in Kunstgeschichte an der LMU München, wo er als Kurator und Autor lebt und arbeitet.