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James Nachtwey

Memoria

B/w image of a woman with white gown walking away from the viewer in between ruins of houses
Kabul, Afghanistan 1996 © James Nachtwey Archive, Hood Museum of Art Dartmouth

Was bedeutet es, die schlimmsten Taten zu sehen, die Menschen einander antun können – und trotzdem noch an Mitgefühl zu glauben? Memoria zeigt die Arbeit von James Nachtwey, einem der prägendsten Fotojournalisten unserer Zeit. Mehr als vier Jahrzehnte lang dokumentierte er Konflikte, Ungerechtigkeiten und die brüchigen Bemühungen um einen Rest Menschlichkeit inmitten dieser Krisen.

Im Zentrum der Ausstellung stehen die humanitären Konsequenzen von Krieg und drängende gesellschaftliche Fragestellungen. Der Fokus liegt auf dem einzelnen Individuum und dessen Position innerhalb umfassender historischer Umwälzungen. Zugleich reflektiert die Ausstellung die grundlegende Rolle der Fotografie selbst: als Medium des Erinnerns, als Akt der Bewahrung und als Instrument gegen das Vergessen. Während seine Fotografien zweifellos dazu beitragen, Geschichte zu bewahren, liegt ihr wesentlicher Zweck jedoch darin, im gegenwärtigen Moment ein Bewusstsein für menschliches Leid und strukturelle Ungerechtigkeiten zu schaffen und so ein Element des gesellschaftlichen Wandels zu werden. So durchbricht Fotografie Kreisläufe von Gewalt und Auslöschung und bewahrt Geschichten, die sonst verloren gehen könnten.

„Wir sollten aufhören, ihn einen „Kriegsfotografen“ zu nennen. Wir sollten ihn vielmehr als einen Mann des Friedens betrachten – als jemanden, dessen Sehnsucht nach Frieden ihn in den Krieg gehen und sich selbst Gefahren aussetzen lässt.“
– Wim Wenders

Einige Bilder in Memoria erscheinen beinahe wie Kompositionen, ganz so, als hätte der Fotograf sie lange im Voraus geplant. Tatsächlich wurden sie in Bruchteilen von Sekunden aufgenommen, in Situationen, in denen er nur seinem Instinkt trauen konnte. Nachtwey fotografierte oft unter Lebensgefahr. Er dokumentierte nahezu jeden größeren Konflikt der Moderne – von den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien, in Tschetschenien und im Nahen Osten über den Völkermord in Ruanda und die Hungersnöte in Somalia und im Sudan bis hin zu dem langwierigen Konflikt in Afghanistan, der in den 1980er Jahren begann. Er war dort, wo andere nicht mehr hingingen, und folgte dabei einem Prinzip: Zeugnis ablegen, ohne auszubeuten; Leid zeigen, ohne den Abgebildeten die Würde zu nehmen; und festhalten, dass selbst im Moment der absoluten Verwüstung der Mensch das ist, um was es geht. 

B/W photo of a destroyed room with man standing next to the window holding an AK47
Mostar, Bosnia-Herzegovina 1993 © James Nachtwey Archive, Hood Museum of Art Dartmouth

Die Ausstellung lädt ein, innezuhalten und die Welt aus Nachtweys Blickwinkel zu begreifen: nicht als eine Aneinanderreihung von Katastrophen, sondern als eine fragile Abfolge menschlicher Erfahrungen. In seinen Arbeiten geht es nicht um Kampfhandlungen, sondern um die Sehnsucht nach Frieden an Orten, an denen der Frieden bereits zusammengebrochen ist. Sie zeigt die Auswirkungen von Ungerechtigkeit sowie Gewalt und weckt gleichzeitig Mitgefühl, Empathie und ein Gefühl der gemeinsamen Verantwortung – mit der Aufforderung, genau hinzuschauen und zu erinnern.

ÜBER DEN KÜNSTLER

James Nachtwey (geb. 1948) zählt zu den wichtigsten Fotojournalisten der letzten fünf Jahrzehnte. Seit 1981 dokumentiert er weltweit Konflikte und gesellschaftliche Umbrüche. Er arbeitete ab 1984 als Vertragsfotograf für TIME, war von 1986 bis 2000 Mitglied von Magnum Photos und von 2001 bis 2008 bei der von ihm mitbegründeten Agentur VII. Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Ehrungen: fünfmal die Robert Capa Gold Medal, achtmal den Titel Magazine Photographer of the Year, außerdem zweimal World Press Photo of the Year, den Dan David Prize, den TED Prize und den Princess of Asturias Award. Arbeiten Nachtweys sind in wichtigen internationalen Institutionen vertreten, etwa im Museum of Modern Art, im Whitney Museum of American Art, im San Francisco Museum of Modern Art, im Museum of Fine Arts in Boston, in der National Gallery in Washington, D.C., im Centre Pompidou und im Getty Museum. 2001 wurde Christian Freis War Photographer, ein Dokumentarfilm über James Nachtweys Leben und Arbeit, für einen Academy Award nominiert.

CREDITS

Die Ausstellung wurde kuratiert von James Nachtwey in Zusammenarbeit mit Claire Ducresson Boët, Exhibitions Manager, Fotografiska Berlin und Thomas Schäfer, Associate Director of Exhibitions bei Fotografiska Berlin.